Der Tag, der alles veränderte
Ich erinnere mich noch sehr genau an den Tag, als mein Vater starb. Er war bestimmt von unzähligen Momenten, die mein Leben nachhaltig prägen sollten. Ein Moment des Abschieds zwischen meinem Vater und mir gehörte nicht dazu. Er starb sehr plötzlich an einer Krebserkrankung, während ich für ein Auslandspraktikum in New York war. Von seinem Tod erfuhr ich am Flughafen. Ich hatte es nicht mehr rechtzeitig zu ihm geschafft.
Verloren im Nebel meiner Trauer
Ich hatte sehr lange damit zu kämpfen, dass wir uns nicht voneinander verabschieden konnten; damit, dass ich “zu spät” gekommen war. Erschwerend kam hinzu, dass unser Verhältnis bereits viele Jahre vor seinem Tod von negativen Spannungen durchzogen war. Zu der Frage nach dem “Warum” gesellte sich die Frage nach dem “Was”: Was hätte ich ihm am Ende sagen können oder auch sagen sollen? Ein letzter Satz, auf dem so viel Bedeutung und Schwere lag, dass ich insgeheim erleichtert aufatmete, als ich erfuhr, dass ich zu spät kam und diesen Satz weder jemals finden noch aussprechen müsste.
Ich verdrängte meine Trauer und mit ihr die Notwendigkeit eines bewussten Abschieds, gesteuert von der Vorstellung, dass ein “richtiger” Abschied ohnehin nur in direktem, persönlichem Austausch möglich wäre. Ohne die körperliche Anwesenheit meines Vaters bestand folglich nicht mehr die Möglichkeit, sich angemessen zu verabschieden. Warum also sollte ich mich damit beschäftigen? Stattdessen machte ich weiter, als sei nichts gewesen. Schließlich war mein Vater auch schon in den Jahren vor seinem Tod kaum noch präsent in meinem Leben.
Und plötzlich überrollte mich eine Welle der Wut
Worauf ich jedoch nicht vorbereitet war, war die Welle der Wut, die mich in den Jahren nach seinem Tod überrollte und die so heftig wog, dass ich kaum noch eine andere Emotion im Zusammenhang mit seiner Person wahrnehmen konnte. Wut über meinen Vater und sein verletzendes Verhalten; Wut über unsere schlechte Beziehung und darüber, dass wir uns nicht mehr aussprechen konnten; Wut darüber, wie idealisiert mein Vater nach seinem Tod dargestellt wurde und wie wenig liebevoll ich ihn auf der anderen Seite betrachten konnte.
Aber auch Wut über mein Umfeld, das mit meiner Art der Trauer genauso überfordert war wie ich und mir versuchte einzureden, ich solle doch endlich von der Wut auf einen Toten ablassen, dass es jetzt gut sei. Statt mich aufzufangen, reagierten die Menschen in meiner Umgebung mit Schweigen, Unverständnis und sogar Ablehnung. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so allein gelassen, hilflos und unverstanden gefühlt.
Vor allem jedoch sehr viel Wut über mich selbst. Darüber, wie wenig ich in der Lage war, meine eigenen Gefühle zu verstehen, geschweige denn zu artikulieren, so diffus waren sie. Darüber, wie erleichtert ich insgeheim war, dass ich mich nicht mehr hatte verabschieden können und darüber, dass ein Teil von mir sogar froh über seinen Tod war, bedeutete er doch, dass wir uns nun nicht mehr streiten müssten. Zu der Wut gesellten sich erdrückende Schuldgefühle, die alles unter sich vergruben und die Aussicht auf einen bewussten Abschied und die überhaupt erst damit einhergehende Möglichkeit auf eine Aussöhnung mit dem Verlust in unerreichbare Ferne rückten.
Mein Weg zurück zu mir
Es brauchte viele Jahre intensiver Arbeit und therapeutischer Begleitung, um zu verstehen, dass ich keine Schuld daran trug, dass wir uns weder voneinander verabschieden noch unsere Differenzen auflösen konnten. Dass es okay war, wütend zu sein – auch auf einen Toten – und dass die Akzeptanz all dessen zwingende Voraussetzung ist, um in Frieden mit dem Verlust leben zu können.
Nach dem Verlust einer engen Bezugsperson, müssen wir als Hinterbliebene nicht nur lernen, mit ihrem Tod zu leben, sondern auch mit allen Gefühlen, die dieser hinterlässt. Als ich mir einen Weg durch mein Gefühlschaos gebahnt hatte, begriff ich, dass es die physische Anwesenheit meines Vaters nicht brauchte, um mich von ihm zu verabschieden. Ebenso wie ich meine Wut anerkannte, ließ ich auch den Gedanken zu, dass mein Vater mich liebte, trotz unserer Differenzen und dass die Art und Weise, wie wir auseinandergingen, nicht definierte, wer wir waren. In diesem Moment kehrte eine heilsame Ruhe in meinem Innern ein und ermöglichte mir, woran ich schon längst nicht mehr geglaubt hatte: loszulassen.
Der Abschied von meinem Vater war ein langer, steiniger Prozess. Und auch wenn mich jeder Schritt auf diesem Weg zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin, hätten mir die richtige Unterstützung – die ich mir selbst aus Angst und Scham erst viel zu spät gesucht habe – und das nötige Wissen sicherlich die ein oder andere schmerzhafte Erfahrung ersparen können. Diese Unterstützung möchte ich nun weitergeben: An Menschen, die jemanden oder etwas Wichtiges im Leben verloren haben.
Du bist nicht allein – ich stehe dir zur Seite
In meinen Coachings bekommst du einen sicheren Raum, in dem du offen über alles sprechen kannst, was dich belastet und was andere vielleicht nicht begreifen. Ich stehe dir mit meiner Erfahrung zur Seite, höre dir zu und trage mit dir, was unerträglich scheint. Wir bearbeiten intensiv deine Trauer, damit du sie besser verstehen, einordnen und als neuen Teil von dir und deiner Zukunft anerkennen kannst. Dies bildet den Grundstein für einen aktiven Umgang mit deiner Trauer. Außerdem entdecken wir die Ressourcen, die du in dir trägst, und entwickeln gemeinsam Ideen, wie es nach dem Verlust weitergehen kann.
Du willst deinen Weg durch die Trauer und zum Neuanfang finden? Mit meinen Trauercoachings unterstütze ich dich dabei. Eine Übersicht aller Coaching-Angebote findest du hier: